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Im Abfall steckt jede Menge Energie. Selbst Restmüll, der nicht recycelt werden kann, wird so zu einer wertvollen Ressource. Die Stadtwerke Gießen haben mit der thermischen Reststoffbehandlungs- und Energieverwertungsanlage TREA 2 im Herbst 2020 ein Kraftwerk in Betrieb genommen, dass ohne ständige Beaufsichtigung auskommt. Vor dem Start hat TÜV Hessen die Sicherheit der Anlage gründlich geprüft.
Die Zahlen sind beeindruckend. Bei privaten Haushalten wurden im Jahr 2019 insgesamt 38 Millionen Tonnen Abfälle eingesammelt. Das entspricht 457 Kilogramm Haushaltsabfälle pro Kopf. Angesichts dieser enormen Menge ist es ein wesentliches Ziel der Energie- und Umweltpolitik in Deutschland, den Abfall als eine erneuerbare Energiequelle zu nutzen. Idealerweise, ohne bei der Verwertung klimaschädliche Gase zu produzieren, denn Abfall wird in der Regel in Müllheizkraftwerken verbrannt.
Das Fundament der modernen Abfallwirtschaft bilden zumeist thermische Abfallverwertungsanlagen. Sie erzeugen verschiedene Formen der Energie: von Strom über Fernwärme bis zu Dampf, etwa für industrielle Abnehmer. Die Verwertungsanlagen nutzen die Ressource Abfall immer effizienter. In Gießen wurde im vergangenen Herbst die thermische Reststoffbehandlungs- und Energieverwertungsanlage TREA 2 in Betrieb genommen. Die Anlage zählt zu den wenigen Kraftwerken weltweit, die aus aufbereitetem Abfall CO2-neutral Wärme und Strom gewinnt.
Prüfung vor Inbetriebnahme
Bis die Anlage wertvolle Energie erzeugt, legt der Müll einen weiten Weg zurück. Zunächst wird der Abfall verbrannt und es entsteht Hitze. Damit wird Wasser erwärmt, das durch ein Rohrsystem geleitet wird. Das Wasser wird solange erhitzt, bis Dampf entsteht, der eine Turbine zur Stromerzeugung antreibt. Anschließend gibt der Dampf die verbleibende Energie an das Fernwärmenetz ab. Im Brennraum des Kessels herrschen Temperaturen von mehr als 850 Grad Celcius, damit die Bildung von Dioxinen ausgeschlossen werden kann. Das Wasser erreicht dabei Temperaturen von bis zu 286 Grad Celsius bei einem Betriebsdruck von maximal 52 bar.
Für den Betrieb einer thermische Abfallbehandlungsanlage gibt es zahlreiche Sicherheitsanforderungen zu erfüllen. Bereits in der Planungsphase gibt es viele Details zu beachten. „Bei einer erlaubnisbedürftige Dampfkesselanlage muss bei der zuständigen Behörde der Betrieb beantragt werden. In diesem Fall war das Regierungspräsidium Gießen dafür zuständig“, erklärt Christoph Kolb, Sachverständiger für Anlagensicherheit bei TÜV Hessen. Bei der thermischen Reststoffbehandlungs- und Energieverwertungsanlage TREA 2 spielten bei der Genehmigung zusätzlich das Bundesimmissionsschutzgesetz eine Rolle. An dem Verfahren waren verschiedene Fachabteilungen des Regierungspräsidiums Gießen beteiligt.
Anlage ohne Personal
Bereits während der Planungsphase der Anlage war TÜV Hessen in Sicherheitsfragen erster Ansprechpartner. Kurz bevor der Regelbetrieb aufgenommen wurde, folgte die eine umfangreiche abschließende Prüfung vor Inbetriebnahme. Dafür war ein Team aus mehreren Sachverständigen vor Ort, um die Dampfkesselanlage gründlich zu prüfen. Christoph Kolb und Stefan Hartmann untersuchten die druckbedingten Gefahren der Anlage – ob der Brand- und Explosionsschutz wie gewünscht funktioniert, wurde von Matthias Findt analysiert.
Hauptaufgabe der Prüfer war, die Sicherheitsmatrix abzunehmen. Weil die Anlage in der Regel ohne Personal arbeiten wird, muss das System in der Lage sein, mit allen möglichen und denkbaren kritischen Situationen richtig umzugehen. Oberste Priorität besitzt dabei die Verhinderung von Gefahren für die Umgebung und Schäden an der Anlage. Deshalb untersuchten die Prüfer bei ihrer Abnahme, ob die Anlage in jeder Situation wie gedacht reagiert. Zum Prüfumfang gehörte die Simulation von 44 verschiedenen Störungsszenarien aller Art, um das System in verschiedene kritische Zustände zu versetzen.
Prüfung verschiedener Szenarien
Ein vollständiger Stromausfall ist die schlimmste denkbare Variante. Die intelligente Steuertechnik und batteriegepufferte Computer starten innerhalb weniger Sekunden die Notstromaggregate. So laufen die relevanten Komponenten weiter und das Kraftwerk fährt geregelt herunter. Weitere Schäden können entstehen, wenn der Druck im Kessel zu stark steigt. In diesem Fall stoppt die Anlage die Zufuhr von Abfall und reduziert die Luft, die für die Verbrennung notwendig ist. Mit der niedrigen Temperatur in der Brennkammer sinkt auch der Druck im Kessel. Als letzte Sicherheitsinstanz lässt ein Ventil bei Überdruck den Dampf über das Dach entweichen.
Unter bestimmten Umständen kann die Verbrennungstemperatur auch zu niedrig sein, etwa wenn der Abfall zu feucht ist. In diesem Szenario wird mehr Verbrennungsluft zugeführt. Sollte diese Lösung nicht ausreichen, wird kein weiterer Abfall verbrannt, damit das Feuer erlischt. Denn eine zu geringe Verbrennungstemperatur hat einen negativen Einfluss auf die Abgaszusammensetzung.
Rundum klimafreundliche Anlage
Die Investition in die Sicherheit zahlt sich aus. Mit dem Start des Regelbetriebs besitzt Gießen eine Anlage, die hocheffizient und CO2-frei Energie erzeugt und gleichzeitig Müll entsorgt. Im Vergleich mit der Schwesteranlage TREA 1 gewinnt TREA 2 aus dem verwerteten Abfall nicht nur Wärme, sondern auch Strom. Deshalb enthält die Anlage neben einem Dampfturbosatz auch zwei zusätzliche gasgefeuerte Blockheizkraftwerke, die den Sattdampf des Festbrennstoffkessels überhitzt, bevor er in den Dampfturbosatz gelangt. Damit wird die Anlage komplexer, flexibler und effizienter zugleich. Die Anlage wird zusätzlich bis zu neun Prozent des Jahresbedarfs der Gießener Fernwärmekunden abdecken.
Ein weiteres Plus ist die Klimafreundlichkeit. Aufwendige Abgasreinigungstechnik beseitigt gefährliche Schadstoffemissionen. Damit wird der Umwelt jährlich 28.000 Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid erspart – das entspricht in etwa dem Gewicht aller Einwohner von Darmstadt und Kassel. Feste Verbrennungsrückstände des Kraftwerks sind ebenfalls frei von Giften und können beispielsweise im Straßenbau verwendet werden. Auch der als Brennstoff genutzte Abfall stammt aus der Region und besteht zur Hälfte aus biogenen Stoffen wie Holz, Pappe, Papier und Zellstoff mit einem hohen Heizwert.