Wasserstoff gilt als wichtiger Energieträger der Zukunft. Doch häufig fehlt die geeignete Infrastruktur. Vor dem Weltklimagipfel in Sharm el Scheich wurde in Ägypten ein erstes Projekt erfolgreich abgeschlossen.
In der ägyptischen Stadt Scharm el-Scheich findet im November 2022 die 27. UN-Klimakonferenz statt. Bisher war die Stadt hauptsächlich als Tourismuszentrum bekannt, doch unter dem Konferenz-Vorsitz von Ägyptens Außenminister Samih Schukri präsentiert sich das Land in Scharm el-Scheich als zuverlässiger Partner im nachhaltigen Energiesektor. Die Voraussetzungen im Nordosten von Afrika sind ideal. Nicht nur Touristen schätzen die vielen Sonnentage – und auch Windenergie gibt es mehr als genug.
Vor allem bei der Produktion von grünem Wasserstoff plant die Europäische Union deshalb eine enge Zusammenarbeit mit der Regierung in Kairo. Ägyptens ambitionierte Zielen ergänzen sich hervorragend mit dem Green Deal der Europäischen Union. Bis zum Jahr 2035 will das Land insgesamt 42 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugen. Dafür entsteht derzeit in der Wüste einer der weltweit größten Solarparks der Welt. Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer besseren Klimabilanz ist der Einsatz von grünem Wasserstoff. Pünktlich zur Weltklimakonferenz will Ägypten deshalb eine eigene Wasserstoffstrategie vorweisen und erste Projekte erfolgreich abgeschlossen haben.
Ägypten bietet Chancen und Risiken
Neben der Erzeugung von grünem Wasserstoff mit den dazugehörigen regenerativen Energiequellen ist die Anwendung eine zentrale Herausforderung. Die Aufgabe besteht darin, die bestehende und auf Erdgas ausgerichtete Infrastruktur mit einem neuen Energieträger zu betreiben. Denn Wasserstoff besitzt andere Brenneigenschaften als Methan. Die Gasturbinen vieler Kraftwerke sind mit einem anderen Brennstoff überfordert.
Ein weiteres Risiko für den Einsatz von Wasserstoff ist die innenpolitische Lage. Das Auswärtige Amt schließt schwerwiegende terroristische Anschläge auf ägyptische Sicherheitskräfte und zivile Ziele nicht aus. Das betrifft sowohl wirtschaftliche Produktionsstätten als auch öffentliche Straßen – und damit auch die Produktionskette von grünem Wasserstoff. Besonders gefährdet ist die Halbinsel Sinai, inklusive der Stadt Scharm el-Scheich. Im Norden der Region gilt aufgrund der Terrorismusgefahr immer noch ein Ausnahmezustand inklusive nächtlicher Ausgangssperre und auch im Süden warnen die Behörden vor unbegleiteten Überlandfahrten.
Erstes Projekt in Sharm El-Scheich
Viele internationale Konzerne sehen in ägyptischem Wasserstoff mehr Chancen als Risiken. Innovative Energieunternehmen unterstützen die Regierung in Kairo deshalb intensiv beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft mit der entsprechenden Infrastruktur. Eine zentrale Aufgabe dabei ist der Betrieb der bestehenden Anlagen. Im Kraftwerk von Sharm El-Scheich, für das ein Energieunternehmen sechs Gasturbinen geliefert hat, wurde deshalb im Oktober 2022 in einer der Turbinen getestet, ob eine Beimischung von fünf Prozent Wasserstoff in der Erdgaspipeline und der einen Turbine möglich ist. Das Besondere an dem Projekt: Alle Zulieferer sind ägyptische Unternehmen. Während der Weltklimakonferenz soll der Versuch zu Demonstrationszwecken wiederholt werden.
Damit der Testlauf reibungslos funktioniert, hat TÜV Hessen die bestehenden Risiken zuvor detailliert unter die Lupe genommen. Frank Nemeth reviewte und analysierte den kompletten Ablauf, inklusive Transport des Wasserstoffs zum Kraftwerk. Dafür musste der erfahrene Projektmanager sämtliche Gefahren auf der Route berücksichtigen. Der hochexplosive Stoff musste schließlich rund 500 Kilometer bis zum Einsatzort zurücklegen – auch bei unebenen Straßenverhältnissen. Hinzu kam der Transport mit einer Fähre über den Suezkanal und die Fahrt durch die Sinai-Halbinsel. Aufgrund der Terrorgefahr werden Lastwagen dort üblicherweise mit Röntgenstrahlen geprüft, damit keine Waffen oder Sprengstoffe in das unsichere Gebiet gelangen. Für die Wasserstoff-Trucks musste deshalb eine Ausnahmegenehmigung organisiert werden, denn die Strahlung hätte den komprimierten Wasserstoff unter Umständen zur Explosion bringen können. Damit das Gas sicher am Einsatzort ankommt, wurde der LKW auch von einer Sicherheitseskorte begleitet.
Aus Projektmanagement wird Projektbegleitung
Eine umfassende Risikoanalyse bildete das Rückgrat des gesamten Projekts. In einem Workshop wurden vor Ort die wichtigsten Risiken und Aufgaben definiert: Von Gefährdungsbeurteilungen und HAZOP-Analysen über Sicherheits- und Gesundheitsschutz (SIGEKO) bis zu Trainings für die beteiligten Mitarbeiter. Nur so konnte gewährleistet werden, dass alle Beteiligten den hochexplosiven Stoff mit der gebotenen Vorsicht behandelten. Als Basis diente ein extra von Frank Nemeth erstellter Project Risk Index sowie ein mathematisch berechenbarer Risk Score. Damit wurde zusätzlich die Wirksamkeit von verschiedenen Maßnahmen berechnet, etwa ob der Blitzschutz der Anlage den gängigen Standards entspricht.
Zusammen mit einer umfangreichen Dokumentation, einer Überprüfung der bestehenden Pläne und den Schulungen vor Ort konnte das Risiko erheblich gesenkt werden. Doch die Aufgaben wurden damit vielfältiger – und aus dem ursprünglichen Projektmanagement entstand sukzessive eine Begleitung des gesamten Versuchs. Bei der aufwändigen Kommunikation mit verschiedenen Stakeholdern und Koordination der verschiedenen Aufgaben wurde Frank Nemeth daher zusätzlich von Abdulkarem Aqlan aus dem Projekt Management Office (PMO) von TÜV Hessen unterstützt.
Gemeinsam konnten die anstehenden Aufgaben bewältigt und das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden. Am 9. Oktober 2022 wurde erstmals erfolgreich Wasserstoff in die Gasturbine des Kraftwerks in Sharm el-Scheich eingespeist. Einer erfolgreichen Demonstration des Versuchs vor den Augen der Weltöffentlichkeit während der 27. Weltklimakonferenz steht nichts mehr im Wege.
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